Erst als sie das Krönchen auf der Visitenkarte sah, die der Kunde hinterlassen hatte, realisierte Marianne Pfäffli wer da gerade in ihren Laden spaziert war: Es war ein Mitglied des europäischen Hochadels. Der Mann hatte zufällig den Schaukasten ihres Ladens entdeckt und spontan ein Kleidungsstück in Auftrag gegeben. Was er sich hat nähen lassen und wer es war? Das verrät Pfäffli nicht: «Berufsgeheimnis». Diskretion ist ihr wichtig.
Es sind exklusive Stücke, die die Damen- und Herrenschneiderin herstellt. Und jeder Schritt wird von ihr in Handarbeit betätigt: von der Anprobe, zum Schnittmuster, zum Innenfutter, bis zum letzten Schliff. Während sie in ihrem Atelierladen an der Kramgasse, in dem sie seit 23 Jahren arbeitet, erzählt, dampft im Hintergrund gemütlich das Bügeleisen und die Geräusche der Altstadt dringen durch das offene Fenster. Es ist wie das Eintauchen in eine andere Welt. Dieses Gefühl verspürt Pfäffli auch, wenn sie die Stufen zu Bärtschi hinunter steigt: «Es ist als verlangsame sich der Alltag. Hier nimmt man sich wirklich Zeit.»
Sie sieht auch in der Beratung Parallelen. «Ich unterstütze meine Kundinnen und Kunden, aber will ihnen nichts aufdrängen. Man muss gut zuhören und abstrahieren können.» Marianne Pfäffli trägt ein dunkelgrünes Deuxpièces, eine Eigenkreation, und eine Cateye-Brille im 50er-Jahre-Stil – natürlich von Bärtschi. Ihr Laden befindet sich schräg gegenüber, für sie ist eine Selbstverständlichkeit, dass man lokale Unternehmen bevorzugt. Auch sie ist auf Kundschaft angewiesen, die nicht einfach Ware von der Stange wünscht und sich vor dem Kauf etwas überlegt. «Wir heben uns vom Industriebedarf ab.»
Braucht es auch eine Portion Mut, eine solche auffallende Brille zu tragen? «Gar nicht!», entgegnet Pfäffli. «Dasselbe gilt auch für Kleider. Wenn der Blazer perfekt sitzt, braucht es keinen Mut, ihn zu tragen, auch wenn er noch so extravagant ist.» Die Brille mit dem nach oben geschwungenen Rand sei ihr sofort in Auge gestochen. «Es war wie ein Funken. Ich wusste: Diese muss ich haben.»
Ihr geht es beim Tragen von speziellen Kleidern und Brillen auch darum, ihren Mitmenschen eine Freude zu machen. Sie zieht sich manchmal mehrmals täglich um, für die Arbeit, abends fürs klassische Konzert, immer elegant. «Ich trage sogar für die Hausarbeit einen Jupe. Arbeitskleidung kenne ich nicht.» Und sie näht sich all ihre Kleider, bis zum Pyjama selbst: «Ich weiss gar nicht mehr, wie Kleider kaufen geht», lacht sie.
Doch Marianne Pfäffli stellt nicht nur hochwertige Anzüge nach Mass her, sondern flickt auch gerne mal ein paar Hosen oder ersetzt einen Reissverschluss, auch für Laufkundschaft. «Es ist ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft.»
Eine wichtige Inspiration war für die Bernerin ihre Zeit in England. 2016 war sie für ein spätes Praktikum in London an der legendären Savile Row. Es ist die Strasse, wo sich die renommiertesten Herrenschneider Englands befinden. Bei ihrem Lehrmeister Mr. Hitchcock liessen sich Prince Charles, Gary Cooper oder Ralph Fiennes einkleiden. «In England besteht eine andere Tradition. Die Menschen zelebrieren die Mode viel mehr. Da werden an einer Hochzeit Abendkleider und Fräcke getragen, als gehöre man zur Königsfamilie.» Stört es sie manchmal, dass die Leute in der Schweiz meist in Jeans und T-Shirt rumlaufen? «Ein bisschen schade finde ich es schon. Es gibt so viele schöne Sachen zum Anziehen!
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